Medizinische Schwerpunkte

Osteochondrosis dissecans

Die Osteochondrosis dissecans (OCD, auch angloamerikanisch Osteochondritis dissecans) ist die umschriebene aseptische Knochennekrose unterhalb des Gelenkknorpels, die mit der Abstoßung des betroffenen Knochenareals mit dem darüberliegenden Knorpel als freier Gelenkkörper enden kann. Sie kann die meisten Gelenke des menschlichen Körpers betreffen, sie tritt aber vor besonders häufig im oberen Sprunggelenk und da im Bereich der sog.Talusschultern auf.

Ätiologie (Ursache)

Von unterschiedlichen, in der Vergangenheit kontrovers diskutierten Entstehungstheorien scheinen mechanische Faktoren (repetitive Impulsbelastungen) die wahrscheinlichste Ursache darzustellen. Daher sind auch aktive bis hochaktive Kinder und Jugendliche am häufigsten betroffen. Möglicherweise spielt bei der  OCD an den Talusschultern auch wiederholtes Umknicken oder "Fastumknicken" eine Rolle.

Pathogenese (Krankheitsverlauf)

Die Erkrankung entsteht auf dem Boden einer knöchernen Durchblutungsstörung unterhalb des Knorpels (subchondrale Vaskularisationsstörung). Am Anfang kommt es in diesem Bereich zu einer Osteonekrose, später zu einer bindegewebigen Demarkation und vor allem Verdichtung gegenüber dem vitalen umgebenden Knochen. Der darauf aufliegende Knorpel zeigt anfänglich keinerlei Veränderungen, er ist vital und mechanisch stabil, weil seine Ernährung durch die Versorgung durch die Gelenkflüssigkeit (Synovia) sichergestellt ist. Später kann es aufgrund der instabil werdenden knöchernen Unterlage auch zu Knorpelveränderungen und geringer Erweichung kommen. Diese Knorpelerweichung kann durch Einklemmung zu intermittierenden Bewegungseinschränkungen führen. Unter fortlaufender Beanspruchung kann es dann zu einer Lockerung des toten Knochens aus der vitalen Umgebung und nach Riss der elastischen Knorpeldecke in der Spätphase zu einer Lösung des gesamten Knorpel-Knochenstücks und damit zur Gelenkmaus oder Dissektat kommen. Das Dissekat kann dann im Mausbett verbleiben oder akut dislozieren, d.h. durch Gelenkbewegung in andere Teile der Gelenkhöhle verschoben werden. Dieses Stadium gibt der Erkrankung den Namen, weil früher, vor Röntgen und Kernspin-Untersuchung, die Krankheit erst mit Ablösung der „Maus" und die dadurch ausgelöste Blockierung erkannt wurde. Im letzten Stadium der Erkrankung (der Dissektion) kann das Knorpel-Knochenfragment sich auch zerlegen und in kaum nachweisbare Teile zerfallen. Es verbleibt auf jeden Fall bei der Dissektion ein relevanter, der Mausgröße entsprechender Gelenkflächendefekt.

Klinik (Beschwerden)

Erste Beschwerden treten als unklare belastungsabhängige Schmerzen auf. Diese können bei Kindern als Wachstumsschmerzen oder als Rheuma fehlinterpretiert werden. Morgendliche Beschwerden sind sehr selten, eher treten sie während oder nach sportlicher Aktivität auf. Oft muß der Sport aufgrund der Schmerzen eingestellt werden. Konsequente Sportpause oder Entlastung mindert die Beschwerden. Ein Gelenkerguss oder eine Weichteilschwellung gehört nicht zu den Zeichen der OD. Nach Ablösen eines Dissektats kann diese einklemmen und es kommt zur Gelenksperre (Blockierung) und plötzlich einsetzenden heftigen Schmerzen wie bei einem großen Meniskusriss. Mechanische Symptome (Blockaden, Streckhemmung) zusätzlich zu Schmerzen sind immer ein Hinweis auf eine Oberflächenveränderung, eine Instabilität oder auf eine beginnende Dissektion des Knorpel-Knochen-Fragmentes.

Diagnose

Oft wird die Erkrankung zufällig beim Röntgen oder MRT entdeckt, das nach einem Unfall angefertigt wird. Die Standarddiagnostik ist die MRT.  An den dabei erzeugten Bildern lässt sich die Größe des Befundes, die Tiefenausdehnung und vor allem eine Beteiligung des darüberliegenden Knorpels genau ausmessen. Daraus ergeben sich dann therapeutische Konsequenzen.

Klassifikation

Die Klassifikation erfolgt anhand von Röntgenbildern nach Berndt und Harty, anhand von CT Bilder nach Ferkel, anhand von MRT Bildern nach Hepple und Winson (Bristol Classifikation) oder anhand des Arthroskopiebefunds nach Cheng.

Berndt und Harty Klassifikation der OCD - Röntgenbild-basiert
Stage I: subchondral compression (fracture)
Stage II: partial detachment of osteochondral fragment
Stage III: completely detached fragment without displacement from fracture bed
Stage IV: detached and displaced fragment
Stage V: subchondral cyst present

Ferkel Klassifikation der OCD - CT-basiert
Stage I: intact roof/cartilage with cystic lesion beneath
Stage IIA: cystic lesion with communication to the surface
Stage IIB: open surface lesion with overlying fragement
Stage III: nondisplaced fragment with lucency underneath
Stage IV: displaced fragment

Hepple und Winson (Bristol) Klassifikation der OCD – MRT-basiert

Stage I: articular cartilage injury only
Stage IIA: cartilage injury with bony fracture and edema (flap, acute)
Stage IIB: cartilage injury with bony fracture and without bony edema (chronic)
Stage III: detached, nondisplaced bony fragment (fluid rim beneath fragment)
Stage IV: displaced fragment, uncovered subchondral bone
Stage V: subchondral cyst present

Cheng Klassifikation der OCD – Arthroskopiebefund-basiert

A: Articular cartilage is smooth and intact but may be soft or ballottable
B: Articular cartilage has a rough surface
C: Articular cartilage has fibrillations or fissures
D: Articular cartilage with a flap or exposed bone
E: Loose, nondisplaced osteochondral fragment
F: Displaced osteochondral fragment

Röntgen OSG mit OCD mediale Talusschulter Stadium I nach Berndt und Harty.

MRT OSG mit OCD mediale Talusschulter Stadium 2b nach Hepple und Winson mit intakter Knorpeloberfläche.

Arthroskopischer Befund OCD mediale Talusschulter Stadium B nach Cheng mit intakter Knorpeloberfläche. Der Knorpel lässt sich etwas eindrücken was ein Hinweis auf eine mangelnde subchondrale Abstützung ist.

Therapie

Die Therapie der Osteochondrosis dissecans ist abhängig von der relativen Größe der Veränderungen und von der Lokalisation in Bezug zum Gelenk. Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium ist das Stadium (stabil / instabil) der Läsion. Als Instabilitätszeichen tritt im MR eine Zystenbildung deutlich hervor. Zusätzlich spielt das Alter des Patienten eine wichtige Rolle. Bei noch weit offenen Wachstumsfugen, also bei Jungen bis zum 14. bei Mädchen bis zum 13. LJ sind die spontanen Heilungsaussichten gut bis sehr gut.

Nichtoperative (konservative) Therapie
Bei noch nicht abgelöstem Knorpel kann, ein konservativer Versuch ohne Operation gemacht werden. Hierzu wird die mechanische Beanspruchung des betreffenden Gelenkes reduziert durch Verbot von Lauf- und Kampfsportarten.  Eine Teilbelastung is meist nicht notwendig.

Operative Therapie
Bei anhaltenden oder zunehmenden Beschwerden, besonders bei Neuauftreten von mechanischen Symptomen wie Blockierungen oder Gelenkschnappen ist eine Gelenkspiegelung (Arthroskopie) des betreffenden Gelenkes empfohlen, um den Beteiligungsgrad des Gelenkknorpels beurteilen zu können, was mit der Kernspintomographie nicht immer zuverlässig gelingt.

Ist bei der arthroskopischen Diagnostik der Knorpel intakt und gelenkseitig noch keine Abgrenzung des betroffenen Bereichs zu erkennen, ist eine retrograde (von außerhalb des Gelenkes) Anbohrung der Sklerosezone zur Revitalisierung des Knochens indiziert. Durch die Bohrlöcher können Gefäße und Stammzellen in den nekrotischen Bereich eindringen und den Knochen regenerieren. Diese Bohrungen erfolgen bei uns navigiert.

Ist der betroffene Bereich noch nicht gelöst, der Knorpel intakt, aber eine beginnende Abgrenzung erkennbar, kann man durch einen Bohrkanal eine retrograde Spongiosaplastik oder durch den abgehobenen Befund (Knorpel-Knochen-Deckel) eine offene Knochentransplantation und Bohrung durchführen. Dieses Verfahren findet besonders bei den hartnäckigen Befunden am Sprungbein (Talus) Anwendung, die selten spontan ausheilen.

Bei Knorpeldefekt, gelockertem oder gelöstem Dissekat ist entweder die Refixierung des vitalen Dissekats bei jugendlichen Patienten angezeigt oder bei zerstörtem oder avitalem Dissekat die Autologe Matrixinduzierte Chondrogenese mit Peripherem Blutkonzentrat (AMIC+PBC) vgl. Matrixassoziierte Stammzelltransplantation (MAST) wenn nötig in Kombination mit Anbohrung und Knochentransplantation.

Die Wirksamkeit unserer Methode konnte inzwischen bei mehreren Studien bewiesen werden:

Das Verfahren wird bei uns standardmäßig angewendet:

Nachbehandlung

Eine Entlastung für 6 Wochen postoperativ ist nötig, die wir auch mittels Orthoscoot durchführen.  Damit wird das Sprunggelenk entlastet und eine gute Mobilisierung erreicht.  Bei zusätzlichen Bandrekonstruktionen ist auch eine Orthese wie abgebildet zur Protektion nötig.