Diskussion
Die Entwicklung der intraoperativen Pedographie
Das Hauptproblem bei der Entwicklung der intraoperativen Pedographie war, eine adäquate Krafteinleitung in die Fußsohle bei anästhesierten Personen in Rückenlage zu erreichen. Die unter der Fußsohle messbare Kraftverteilung sollte der statischen Pedographie im Stehen so ähnlich wie möglich werden. Noch besser wäre eine möglichst große Ähnlichkeit mit der dynamischen Pedographie im Gehen oder der Standphase des Gehens. Für diese Krafteinleitung wurde der Kraftsimulator Intraoperative Pedographie (KIOP®) entwickelt (Abbildung 1c und Abbildung 1d). Die Messungen sollten in neutraler Position des oberen Sprunggelenks stattfinden. In dieser Position des Sprunggelenks sollte der fehlende Einfluss der Muskelaktivität bei anästhesierten Probanden minimal sein, da gezeigt werden konnte, dass das EMG bei wachen stehenden Personen mit neutraler Sprunggelenksstellung keine Aktivität zeigt [8,12,31].
Es blieben so Zweifel, ob es signifikante Unterschiede zwischen der standardisierten Pedographie und der intraoperativen Pedographie gibt. Deswegen wurde die statistische Analyse so geplant, dass sie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Methoden der Pedographie aufdeckt.
Der Validierungsprozess
Die technische Objektivität und Reliabilität des Messsystems wurden geprüft. Danach wurde die Validierung in zwei Schritten durchgeführt. Die Aufgabe des ersten Schrittes war herauszufinden, ob das entwickelte System in der Lage ist eine dynamische oder eine statische Pedographie bei wachen Personen zu simulieren. Das Problem war, dass die dynamische Pedographie immer andere Werte liefert, als die statische, egal ob im liegen oder im stehen. Pedographie ist aber nicht zwangsläufig als dynamische Pedographie definiert [9,10]. Wenn es möglich ist, sollten sowohl eine dynamische als auch eine statische Pedographie durchgeführt werden [2,3,6]. Aber wenn die dynamische Pedographie nicht möglich ist, ist die statische Pedographie dadurch nicht prinzipiell irrelevant. Trotzdem hat der Vergleich der Standphase der dynamischen Pedographie mit den statischen Messungen des KIOP® wichtige Informationen für den Prozess der Validierung liefert. Diese Werte waren nicht signifikant unterschiedlich. Der zweite Schritt wurde an Patienten der Unfallchirurgischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt. Eingeschlossen wurden nur Patienten, die keine Verletzungen oder Deformitäten der Beine unterhalb des Kniegelenks aufwiesen. Die Operationen wurden zumeist an der Hüfte oder proximal davon durchgeführt. Für die Messungen dieser Gruppe wurde nur das Pliance®-Systems verwendet. Es wurden die statische Pedographie im Stehen, die Pedographie mit dem KIOP® bei anästhesierten und bei nicht anästhesierten Patienten im Liegen verglichen. Für alle Messungen mit dem KIOP®-System wurde als Zielkraft die Kraft, die bei der statischen Pedographie erreicht wurde, festgelegt. Im Allgemeinen entsprach diese Kraft dem halben Körpergewicht der Probanden. Diese Festlegung war nötig, um die standardisierte statische Pedographie so gut wie möglich zu simulieren.
Die Analyse wurde anhand der Kraftverteilung und nicht mit den Absolutwerten durchgeführt. Um Aussagen über die Validität zu treffen, wurden Objektivität und Reliabilität, wie oben beschrieben, analysiert und stellen so die Basis der Validation dar. Auf eine Analyse der Intraobserver-Reliabilität und der Interobserver-Objektivität wurde verzichtet, da die Messungen und Auswertung nicht abhängig vom Beobachter oder Auswerter waren. Die Auswertung der Kraftverteilung der verschiedenen Methoden wurde automatisiert von der Software durchgeführt, ohne Interaktion eines Beobachters oder Untersuchers. Die Aufteilung der Regionen des Fußes erfolgte nach einem Algorithmus der Software, genauso wie die Errechnung der Werte der Kraftverteilung. Diese Aufteilung auf die Regionen wurde als besser standardisierbar als die beobachterabhängige subjektive Analyse der Kraftverteilung beschrieben [15]. Bei einer subjektiven Analyse werden die Bereiche des Fußes vom Beobachter selbst festgelegt, und sind so nicht standardisierbar. Wie oben beschrieben wurde die initiale Kraftverteilung aber vom Untersucher beeinflusst. Die Aufteilung der Kraft sollte zwischen Rückfuß und Vorfuß 60% zu 40% betragen bzw. zwischen der medialen und der lateralen Seite des Fußes 50% zu 50% betragen, wie es für stehende Probanden beschrieben wurde [5,10,18]. Diese Beeinflussung durch den Untersucher ist notwendig und vergleichbar der Beeinflussung der Kraftverteilung, der eine stehende Testperson auf einer Matte oder auf einer Messplattform unterliegt [10]. Die Aufteilung der Kraft auf 8 der 10 Felder, d.h. auf alle Felder außer Rückfuß und Mittelfuß, wurden durch den Untersucher nicht direkt beeinflusst.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Kraftverteilung mit dem KIOP®-System bei anästhesierten Probanden nicht signifikant unterschiedlich zu der Kraftverteilung im Stehen ist. Dies gilt für alle verglichenen Regionen des Fußes, z.B. für das Verhältnis Rückfuß zu Vorfuß, das Verhältnis Medial- zu Lateralseite und die zehn Felder. Weiterhin zeigte die Verteilung der Kraft zwischen Rückfuß und Vorfuß bei allen Messungen keine signifikanten Unterschiede. Dies gilt auch für die dynamischen Pedographie. Dieses Ergebnis ist sehr wichtig, da die Verteilung der Kraft zwischen Rückfuß und Vorfuß bei Gesunden 60 % zu 40 % beträgt [5]. Überraschenderweise gab es zwischen den Messungen mit dem KIOP®-System der Gruppen 1 und 2, sowohl bei unterschiedlichen Testpersonen und als auch auf unterschiedlichen Seiten keine signifikanten Unterschiede der Kraftverteilung.
Basierend auf diesen Ergebnissen wird die Nullhypothese zum Großteil angenommen. Daraus resultierend ist die dargestellte Methode zur intraoperativen Pedographie als valide für statische intraoperative biomechanische Messungen zu betrachten. Sie wird durch die unten dargestellten methodischen Schwächen limitiert.
Methodische Schwächen
Die intraoperative Pedographie misst eine statische Qualität des Fußes. Hierbei wird nicht zwangsläufig auch die dynamische Mechanik des Fußes gemessen. Dies ist aber keine methodische Schwäche, da das formulierte Ziel der Studie der Vergleich der eingeführten Methode mit der dynamischen und der statischen Pedographie ist. Das KIOP® wurde nicht entwickelt um eine dynamische Pedographie zu imitieren. Es wurde bereits vorher gezeigt und oben diskutiert, dass eine statische Pedographie auch Rückschlüsse auf die Biomechanik des Fußes erlaubt [9,10]. Ein Störfaktor könnte sein, dass die mit dem KIOP® eingeleitete Kraft auf die Fußsohle nur unzureichend wirkt. Außerdem könnte die liegende Position und die Anästhesie eine unphysiologische Pedographie zur Folge haben. Diese Bedingungen lassen sich aber intraoperativ nicht anders realisieren. Die Nullhypothese wurde formuliert, um eventuelle Unterschiede der Kraftverteilung bei den einzelnen Methoden zu entdecken. Da nur anamnestisch und klinisch gesunde Patienten in die Studie eingeschlossen waren, könnte die Validität nur für gesunde Füße gegeben sein. Man sieht aber in den Pedographien z.T. deutliche pathologische Kraftverteilungsmuster (Abbildung 4 und 5), so dass geschlossen werden muss, dass die Messung mit dem KIOP® auch pathologische Druckverteilungsmuster darstellt.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend erlaubt die beschriebene Technik eine valide statische intraoperative Pedographie, da keine signifikanten Unterschiede zwischen der Kraftverteilung im Stehen und der Kraftverteilung bei anästhesierten Patienten beobachtet wurden. Dabei ist nochmals hervorzuheben, dass intraoperativ nicht die Standphase des Gangs simuliert wird sondern nur der Stand. Im Stand beim wachen Individuum ist das Elektromyogramm (EMG) der Unterschenkelmuskulatur still, d.h. die Muskeln sind inaktiv, was überhaupt erst die Simulation des Stands beim narkotisierten Patienten ermöglicht [8,12,20,31].
12.2. Konsekutive, prospektive, randomisierte, kontrollierte Nachuntersuchungsstudie [23]
Ziel dieser Studie war die Analyse des potentiellen klinischen Nutzens der intraoperativen Pedographie durch Vergleich mit Fällen ohne intraoperative Pedographie mit suffizienter Fallzahl.
Methodik
Patienten mit einem Alter von mindestens 18 Jahren, bei denen eine Arthrodese oder Korrekturarthrodese am oberen Sprunggelenk (OSG) und/oder Fuß wurden ab dem 01.09.2006 eingeschlossen. Die Patienten wurden zwei Gruppen zugelost: a) Operation mit Einsatz der intraoperativen Pedographie, und b) Operation ohne Einsatz der intraoperativen Pedographie. In Gruppe a) wurden der betroffene und der nicht betroffenen Fuß im Einleitungsraum in Narkose gemessen. Die betroffene/operierte Seite wurde dann intraoperativ nach der definitiven internen Fixierung gemessen. Zuvor kamen optional sämtliche bisher beschriebene Maßnahmen wie Navigation (s. Kapitel 3) und intraoperative 3D-Röntgenbildgebung (s. Kapitel 3) zum Einsatz. Es erfolgten jeweils 3 Messungen. Die Konsequenzen der intraoperative Pedographie wurden registriert. Folgende Scores wurden präoperativ erhoben: American Orthopaedic Foot and Ankle Society (AOFAS), Visual Analogue Scale Foot and Ankle (VAS FA), Short Form 36 (SF36, auf 100 Punkte-Maximum standardisiert) [11,13,25]. Die registrierten Parameter wurden zwischen den beiden Gruppen verglichen (t-, Chi2-Test).
Die Studie wurde von der Ethikkommision der Medizinischen Hochschule Hannover genehmigt.
Ergebnisse
Bis 11.04.2008 wurden 100 Patienten eingeschlossen (Alter 33±8 Jahre; männlich, n=43). Folgende Arthrodesen wurden durchgeführt: Korrekturarthrodesen OSG, n=12; Subtalargelenk, n=14; Mittelfuß, n=26; Vorfuß, n=33; Arthrodese ohne Korrektur Mittelfuß, n=15. Die präoperativen Scores waren AOFAS, 49,1±24,6; VAS FA, 45,3±21,2; SF36, 43,1±31.2, 52 Patienten wurden in die intraoperative Pedographie Gruppe randomisiert und 48 Patienten in die Gruppe ohne intraoperative Pedographie. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht bezgl. der demographischen Faktoren oder der präoperativen Scores (t-, Chi2-Test>0,05). Die intraoperative Pedographie dauerte 321±39 Sekunden. Durch die intraoperative Pedographie verursachte Komplikationen wurden nicht beobachtet. In 24 der 52 Fälle (46%) nach intraoperativer Pedographie erfolgte eine Änderung der Korrektur bzw. der Knochenstellung. Diese intraoperativen Konsequenzen waren am häufigsten bei der Korrekturarthrodese des Mittelfußes (64%) und am seltensten bei der Korrekturarthrodese des Subtalargelenks (25%).
Alle Patienten wurden nach durchschnittlich 12 (6-24) Monaten nachuntersucht. Die Scores zu Zeitpunkt der Nachuntersuchung betrugen AOFAS, 92,5±19,7; VAS FA, 90,2±13,4; SF36, 94,3±18,8. Die Scores der intraoperative Pedographie Gruppe waren signifikant besser als die Scores der Gruppe ohne intraoperative Pedographie (t-Test <0,05 für alle Scores). Dabei lagen insbesondere nur die Scores der Gruppe ohne intraoperative Pedographie unter 70 Punkte lagen (Abbildung 11).
Diskussion
In 46% der Fälle erfolgten nach der intraoperativen Pedographie Änderungen der Korrektur bzw. der Knochenstellung. Keine negativen Folgen der intraoperative Pedographie wurden beobachtet und der Zeitaufwand der Messungen war gering. Die durch die intraoperative Pedographie Messung potentiell optimierte Korrekturstellung führte zu einem besseren klinischen Ergebnis im Vergleich zu den Fällen ohne intraoperative Pedographie.